"Bei Ihnen scheinen ja orientalische Verhältnisse zu herrschen"

Orientalisch oder kafkaesk? Eine bizarre "Vernehmung" bei der Polizei Erbach und die Freiheit des Wortes im Odenwald


Am 21. 7. 1980 wurde in der Odenwälder Heimatzeitung (OHZ) über einen Prozess gegen den langjährigen Polizeichef des Odenwaldes berichtet. Gegen ihn wurde vor dem Landgericht Darmstadt wegen Betruges, Urkundenunterdrückung und Verwahrungsbruch verhandelt. Die OHZ zitierte in diesem Zusammenhang die Aussage eines Staatsanwaltes, welche den damaligen Zuständen in der Polizeidirektion Erbach galt, vielleicht sogar den Zuständen im Odenwald insgesamt: "Bei Ihnen scheinen ja orientalische Verhältnisse zu herrschen."

OHZ, 21.7.1980

Was sich nun am 23. Januar 2002 in der Polizeidirektion Erbach abspielte, erinnerte mehr noch an kafkaeske Verhältnisse als an "orientalische Verhältnisse". Und die Staatsanwaltschaft Darmstadt war diesmal eher ihr "Regisseur" als ihr Kritiker.
Zur Vernehmung vorgeladen war Klaus K., ein im Odenwald wohnender Akademiker, dem offenbar nichts anderes als Worte vorgeworfen wurden, genauer: "Falsche Verdächtigung".
Mitanwesend war ein Diplom-Ingenieur, der als wissenschaftlicher Dokumentar (GMK e.V.) Fälle bürokratischer Willkür untersucht. Bei dieser Gelegenheit wollte er sich einen Eindruck von den Grundrechten im Odenwald verschaffen: Insbesondere hinsichtlich Artikel 5 des Grundgesetzes (Meinungsfreiheit bzw. Freiheit des Wortes) und Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf ein faires Verfahren).
Seine nachstehend gezeigte Erklärung zeugt von dem Befremden, das sich bei ihm während der "Vernehmung" einstellte.
Um das Persönlichkeitsrecht des beschuldigen Mannes zu wahren, wurde dessen Name in der Erklärung geschwärzt. Auch Klaus K. ist nur ein Pseudonym, das die kafkaeske Situation betonen soll.



Die Schilderung dieser "Vernehmung" erinnert an Franz Kafkas bekanntesten Roman "Der Prozess", aus dem der folgende Passus zitiert wird:

"Sie dürfen nicht weggehen, Sie sind ja verhaftet." "Es sieht so aus", sagte K. "Und warum denn?" fragte er dann. "Wir sind nicht dazu bestellt, Ihnen das zu sagen. Gehen Sie in Ihr Zimmer und warten Sie. Das Verfahren ist nun einmal eingeleitet, und Sie werden alles zur richtigen Zeit erfahren."

Klaus K. war nicht verhaftet und konnte gehen. Doch warum gegen ihn "das Verfahren ...nun einmal eingeleitet" war, das konnte ihm der Kommissar nicht sagen bzw. nicht begründen.
Offenbar wusste auch der verantwortliche Oberstaatsanwalt keinen konkreten Grund zu nennen, jedenfalls nicht in der nach Erbach gesandten Akte. Vielleicht wird auch Klaus K. "alles zur richtigen Zeit erfahren".
Doch es war ihm, als wehte der böse Wind der 1989 untergegangenen DDR herüber und hinein in das kleine Zimmer des Erbacher Kommissariats. War das die Art und Weise, mit welcher Dissidenten diszipliniert wurden? Bei "falscher Verdächtigung" des Arbeiter- und Bauernparadieses?
Auch eine andere Bemerkung des Kommissars kam Klaus K. bekannt vor: Warum er denn beabsichtige, seine Kritik öffentlich vorzutragen. Es gäbe doch andere Möglichkeiten.

Ganz leer war die Akte nicht, die dem Erbacher Kommissar schon einige Wochen zuvor zugesandt wurde. Sie enthielt anscheinend Texte von Klaus K., die sich kritisch mit Behörden auseinandersetzten, auch mit der Staatsanwaltschaft Darmstadt.
Normalerweise erstattet nicht jeder Anzeige, wenn er Kritik erfährt, jedenfalls nicht in demokratischen Staaten.
Die Staatsanwaltschaft kann aber nicht nur als sich subjektiv beleidigt fühlende "Partei" Strafanzeige erstatten, sondern in "Personalunion" auch gleich noch objektiv "unabhängig" über die Einleitung eines Strafverfahrens entscheiden.
Ein Umstand, der eigentlich besondere Sorgfalt gebietet, um nicht den Eindruck rüder Willkür zu erwecken, auch mit Blick auf die offenbare Asymmetrie der Macht.
Doch genau dieser Eindruck drängte sich auf. Der Kommissar konnte dem zur Vernehmung Vorgeladenen nicht sagen, wer Anzeige erstattet hatte, wen genau er falsch verdächtigt haben sollte, wann, wo und in welcher Form das geschehen sei.
Wurde er womöglich selbst falsch verdächtigt? Stand alles Kopf?

Anders verhielt es sich mit einer Strafanzeige wegen des Verdachts der Urkundenfälschung, die Klaus K. bei gleicher Gelegenheit gegen Unbekannt stellte. In einer Ermittlungsakte fehlte offenbar ein Dokument, das Klaus K. am 28. 3. 2001 mit einer eMail an die Polizei Erbach gesandt hatte. Ein brisantes Dokument, denn genau dieses Blatt erwies die aus der unvollständigen Akte abgeleitete Anklageschrift wegen "Verleumdung" als haltlos.
Der Kommissar, ein im Konkretisieren von Tatvorwürfen geübter Mann (siehe oben), reagierte unwirsch: Ob Klaus K., bevor er Anzeige erstatte, denn alle möglichen Gründe für das Fehlen dieses Blattes ausreichend recherchiert habe?

Am Vormittag des besagten 28. März 2001 war Klaus K. schon einmal wegen vorgeblicher "Verleumdung" und "falscher Verdächtigung" bei der Polizei Erbach zur Vernehmung geladen.
Weil es auch hier um die Freiheit des Wortes ging, begleitete ihn ein Buchverleger. Der stellte anschließend fest:



Für Klaus K. war es die erste Strafanzeige seines Lebens. Gegen ihn erstattet hatte sie damals Landrat Horst Schnur persönlich. Ein Mann, der bei Kritik empfindlich reagieren soll und vielleicht auch deswegen von einigen Odenwäldern liebe- und respektvoll mit den feudal-absolutistischen Spitznamen "Landfürst" bzw. "Kartoffelkönig" tituliert wird.
     So deutete vor einiger Zeit mit äußerster Vorsicht auch der Chefredakteur der OHZ eine gewisse "Sensibilität" der "Odenwälder Sozialdemokraten" an: Diese würden "von den Auffassungen ihrer regionalen Vorleute abweichende Meinungen allzuoft schon fast wie Majestätsbeleidigung auffassen." Er nannte gleich darauf die Ursache dieser Sensibilität: "Die SPD übt im Odenwaldkreis seit rund 50 Jahren die Regierungsgewalt aus."
Klaus K.dachte sich dabei: Aha!







 
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