Die gefälschte Polizeiakte und drei unglaubliche Selbstmorde

Ein Drama von Pflicht und Ehre

Von Wilhelm Hellmuth


Erbach ist eine Großgemeinde mit 10 000 Einwohnern und liegt bei Michelstadt im Odenwald. Das hessische Innenministerium unterhält in Erbach ein Polizeikommissariat der Schutzpolizei mit 72 Beamten. Geleitet wurde die Dienststelle bis vor kurzem von Hans Bross ( 49). Er ist Vater zweier Söhne, geschieden und seit 26 Jahren im Polizeidienst.
Sein Berufsgrundsatz: „Ein guter Polizeichef darf nirgends beliebt und nirgends gehaßt sein."
Ein geschäftstüchtiger Polizeichef und ein erster Verdacht wegen Versicherungsbetrugs
In der Erbacher Geschäftswelt galt er dafür als clever. Das gründete sich auf drei Vorfälle, die der Geschäftswelt der Kleinstadt bekannt waren:
  • Hans Bross war nach seiner Scheidung vor etwa vier Jahren mit seiner Lebensgefährtin Ursula B. zusammengezogen. Die junge Frau kaufte beim Möbelhaus Breitwieser ein Bett und einen Beistellschrank. Vom Rechnungsbetrag zog sie 300 Mark ab und begründete: „Ich habe Möbel mit Holzfurnierung bestellt. Geliefert aber wurden sie mit Kunststoffbelag." Möbelhändler Eckehard Breitwieser zog vor Gericht. Er bekam recht und 300 Mark.

  • 1977 bauten Ursula B. und Hans Bross gemeinsam eine Doppelhaushälfte als Rendite-Objekt. Bauunternehmer Hans Joachim D. stellte die Rechnung, aber die Bauherrn weigerten sich zu zahlen.
    Bauunternehmer D.: „Bei einem Gespräch hat mir Bross gedroht, er würde mich wegen der Beschäftigung von Schwarzarbeitern anzeigen, wenn ich den Preis nicht senken würde."
    Bross dagegen: "Der Bauunternehmer hat ungerechtfertigt hohe Preise verlangt." Die Sache wurde vor dem Landgericht in Darmstadt durch Vergleich entschieden.

  • Für ihre gemeinsame Wohnung kauften sich Hans Bross und Ursula B. eine neue Küche bei der Erbacher Firma W. Kurz darauf diktierte der Polizeichef eine Anzeige: Bei der Firma W. sei eingebrochen worden.
    Wenig später tauchte der Verdacht auf, daß es bei der Firma W. gar keinen Einbruch gegeben habe. Die Anzeige vom Polizeichef Bross hätte nur dem Zweck dienen sollen, die Versicherung zur Kasse zu bitten. Dafür hätte dann Bross seine Küche billiger bekommen können.
    Doch das alles blieben unbewiesene Gerüchte. Zwar wurde Bross nicht - wie ihm eigentlich zugesagt - zum Ersten Polizeikommissar befördert.
    Aber ein eingeleitetes Ermittlungsverfahren wurde eingestellt.
    Dies waren die drei Fälle, die den geachteten Polizeichef von Erbach in den Ruf besonderer Geschäftstüchtigkeit brachten.
Schicksalsknoten, der Tod über vier Menschen und Unglück über drei Familien bringen sollte
Seine beruflichen Qualitäten als Polizist galten als über jeden Zweifel erhaben - bis in die Nacht vom 4. Juli 1979, in der das Schicksal einen seltsamen Knoten schnürte, der Tod über vier Menschen und Unglück über drei Familien bringen sollte.

In jener Nacht kam der Bauingenieur Bruno G. (39) mit seinem Golf um 1.30 Uhr nachts von der Straße ab. Er prallte gegen einen Gittermast und erlitt dabei schwere Verletzungen im Kopf und in der Brust. Polizeimeister H. aus Erbach wurde informiert und veranlaßte routinemäßig folgendes:
Sicherung des Unfallwagens, Einlieferung des Verletzten ins Kreiskrankenhaus von Erbach und eine Blutprobe.
Am nächsten Morgen wurde Bruno G. von Erbach nach Darmstadt verlegt. Dort erlag er acht Tage später seinen Verletzungen.

Polizeimeister H. füllte nun das Unfallformular aus. Der Unfallverlauf wurde in zwei Sätzen geschildert. Der letzte lautet:
„Nachdem er (G.) eine Linkskurve durchfahren hatte und bereits wieder auf gerader Strecke war, kam er vermutlich durch zu hohe Fahrgeschwindigkeit und Alkoholgenuß nach rechts von der Fahrbahn ab und prallte frontal gegen einen neben der Straße stehenden Gittermast."
Die Aktenmanipulation
Einige Tage später wurde Polizeimeister H. in die Privatwohnung von seinem Polizeichef Hans Bross gebeten. Vor Gericht sagte er später darüber aus:
„Mir wurde von Herrn Bross bedeutet, daß ich ein neues Blatt ausfüllen sollte, in dem nicht mehr von Alkohol die Rede war."
Das tat Polizeimeister H. auch, und die so neu abgefaßten Akten gingen an die Staatsanwaltschaft Darmstadt.
     Diese wiederum gewährte drei Versicherungen Akteneinsicht. Denn Bruno Gs. Witwe Brigitte hatte nur dann Anspruch auf vollen Versicherungsschutz, wenn Alkohol beim Unfalltod ihres Mannes keine Rolle gespielt hätte. Nach den vorliegenden Unterlagen war das nicht der Fall gewesen.
     So bekam die Witwe von drei Versicherungen rund 65 000 Mark. Die Versicherungen gaben den Vorgang aber wie üblich an ihre Revisionsabteilungen weiter und dort wurde noch einmal geprüft, ob alles ordnungsgemäß abgelaufen sei. Dabei entdeckte der Revisor der Berufsgenossenschaft des Toten einen ärztlichen Zwischenbericht aus dem Krankenhaus Erbach. Darin stand, daß dem Verletzten Blut zur Blutalkoholfeststellung abgenommen sei. In den Akten der Staatsanwaltschaft aber befand sich darüber nichts.
Wurde der Polizeichef vom Vater des Toten zum Betrug gedrängt?
Daraufhin schrieb die Versicherung an den Staatsanwalt, und dieser bat Bross um Aufklärung.
     Der Polizeichef von Erbach sagte vor dem Staatsanwalt sinngemäß aus: Wegen der Freigabe des Unfallautos habe der Schwiegervater der jungen Witwe mit ihm telefoniert und beiläufig auf das schwere Schicksal der 33jährigen hingewiesen, die nun zwei minderjährige Kinder zu versorgen habe. Er, Bross, sei nicht dazu da, Ermittlungen für Versicherungen durchzuführen. Er habe die Sache mit dem Alkohol zurückgehalten, um der Witwe und den Kindern zu helfen.
     Nach dieser Aussage wurde Polizeichef Bross mit sofortiger Wirkung vom Dienst suspendiert, und der Staatsanwalt leitete ein Ermittlungsverfahren gegen ihn ein.
     Zum Ermittlungsführer in Erbach wurde Bross' langjähriger Stellvertreter, der Polizeihauptkommissar Georg Fink, bestimmt. Der 58jährige war ein Beamter, dessen Wertvorstellungen in der Vorkriegszeit geprägt wurden. Seine Tugenden: Fleiß, Sparsamkeit, Staatstreue, Aufrichtigkeit.
Parteigenossen: Womit man "heute" weiter kommt
     1966 sagte er zu seiner Frau: „Mit den guten alten Beamtentugenden kommt man heute nicht weiter. Da muß man schon etwas anderes tun."
Damals trat er in die SPD ein und wurde nur Wochen später Dienststellenleiter der Polizei in Ober-Ramstadt bei Darmstadt. Nach einigen erfolgreichen Jahren wurde er 1972 seinem Parteigenossen Bross in Erbach als Stellvertreter zugeordnet.
     Die beiden ungleichen Männer mochten sich nicht, erledigten aber polizeiliche Routinefälle reibungslos. So hatte Georg Fink schon im Fall der W.-Küche gegen seinen Chef ermittelt, ohne daß die Zusammenarbeit darunter gelitten hätte. So ermittelte Fink nun wiederum gegen Bross
     Er recherchierte und teilte die Ergebnisse seiner Bemühungen stets der Staatsanwaltschaft telefonisch mit.
Prozess wegen Verwahrungsbruch, Urkundenunterdrückung und Versicherungsbetrug
     Da kursierten plötzlich im Polizeipräsidium zwei anonyme Briefe. In beiden wurde Fink „hinterfitzig" genannt. Weiter hieß es, Ehrgeiz sei eine Tugend, „nur sollte er einen Menschen nicht dazu bringen, mit solcher Hinterlist Planstellen zu räumen".
     Dann, vor einigen Wochen, begann gegen Polizeichef Hans Bross vor dem Landgericht in Darmstadt der Prozeß wegen Verwahrungsbruch, Urkundenunterdrückung und Versicherungsbetrug.
     Am 18. Juli mußte sein Stellvertreter Georg Fink aussagen. Bross' Rechtsanwalt, Dr. Helmut T., nahm die während der Ermittlungen in Umlauf gesetzten Gerüchte auf und fragte den Zeugen Fink am Schluß seiner Aussage, ob er den Prozess „angezettelt" habe, um der Nachfolger von Bross zu werden.
     Der Zeuge antwortete mit „Nein" und kehrte tiefbetroffen zu seiner Familie zurück.
Der Rufmord endet in mehrfachem Selbstmord
     Am darauffolgenden Montag fuhr er mit seinem Audi 80 in den Wald und nahm das Gift E 605.
     Drei Tage später legte sich seine Ehefrau Maria, 57, ins Bett und schluckte ebenfalls das tödliche E 605. Auch sie konnte die Schande nicht mehr ertragen, daß ihr Mann öffentlich verdächtigt wurde.
     Das Ehepaar Fink hatte zwei Söhne: Sohn Dieter arbeitete als Polizist in der Dienststelle seines Vaters. Sohn Harald war Kinderkrankenpfleger in Frankfurt gewesen. Doch das Leiden und Sterben von Kindern konnte der sensible 24jährige nicht ertragen. Er kehrte zu den Eltern zurück.
     Nun hatte er seine Eltern auf tragische Weise verloren. Seiner Meinung war daran aussschließlich Polizeichef Bross schuld. Harald Fink besorgte sich eine Beretta und vertraute einem Freund an: „Erst erschieße ich Bross und dann mich."
"In dieser gemeinen, ungerechten Welt will ich nicht mehr leben"
Der Freund konnte ihn scheinbar beruhigen. Doch zu Hause machte er Schießübungen.
     Dann schrieb er einen Brief an seinen Bruder Dieter „In dieser gemeinen, ungerechten Welt will ich nicht mehr leben."



Und er tötete sich durch einen Kopfschuß.
    
Welches Motiv bewegte den "cleveren" Polizeichef, seine Karriere aufs Spiel zu setzen?
Morgen geht nun der Prozeß vor dem Landgericht in Darmstadt gegen Polizeichef Hans Bross in die letzte Runde. Zwei für den Prozeß entscheidende Fragen konnten noch immer nicht geklärt werden.
  • Erstens: Bross hatte weder den toten G. noch dessen Ehefrau gekannt. Ein Motiv für Aktenmanipulation fehlt.

  • Zweitens: Im allgemeinen werden die Kosten für Blutalkoholtests vom Polizeiwirtschaftsamt in Wiesbaden bezahlt. Die 56 Mark für das G.-Gutachten, die ihm 1,5 Promille bescheinigen, wurden per Post überwiesen - ohne Absender. Die bezahlte Rechnung ist bei Bross gefunden worden, zusammen mit dem nicht weitergeleiteten Promille-Gutachten. Warum tat er das?
    Brigitte G. hat mittlerweile das Geld an die Versicherungen zurückgezahlt. Vor Gericht sagte sie aus: Ich kenne Herrn Bross nicht, und er hat nie etwas von mir gewollt."
Wie immer die Richter urteilen - sie werden gezwungen sein, über einen banalen Fall zu entscheiden, ohne sich der schicksalhaften Tragik, die er auslöste, auch nur nähern zu können.




 
Anmerkungen
A1. Dieser Bericht von Wilhelm Hellmuth erschien am 10. August 1980 in der "Welt am Sonntag" auf den Seiten 6 und 7.

A2. In dem "Welt" - Bericht wurden die tatsächlichen Namen aller Beteiligten in voller Länge genannt. In dieser Wiedergabe - 22 Jahre nach den Ereignissen - wurden die tatsächlichen Namen der Hauptbeteiligten (in Bross und Fink) umgeändert und die Namen der sonstigen Beteiligten fast durchgehend abgekürzt.

A3. In dem damaligen Bericht wurden auch alle 4 Hauptbeteiligten abgebildet: der damalige, langjährige Odenwälder Polizeichef Hans Erhard Bross und jene 3 Menschen, die auch an seinem Verhalten zerbrachen: sein Stellvertreter Georg Fink, dessen Frau Maria und ihr jüngerer Sohn Harald. Hier wird lediglich das Bild von Harald Fink angezeigt.

A4. Zwischenüberschriften und Links wurden hier nachträglich eingefügt. Alle Altersangaben beziehen sich natürlich auf das Jahr 1980.

A5. Berichtet wurde über den Prozess gegen den Polizeichef und die damit einhergehende familiäre Tragödie auch in weiteren Zeitschriften, insbesondere in OHZ/Darmstädter Tagblatt sowie im Darmstädter Echo.
Bruno Schrep, heute einer der bekanntesten SPIEGEL-Reporter, berichtete am 16./17. August in einem umfangreichen Artikel ("Der Polizeichef und der dreifache Tod von Erbach") über die "Provinzkabale" und deren tragischen Verlauf.

A6. Nur in der "Welt am Sonntag" fanden wir die wichtige "Vorgeschichte" des Dramas: Jene Vorfälle, die dem Polizeichef Hans Bross in der Geschäftswelt von Erbach den Ruf eintrugen, besonders geschäftstüchtig und "clever" zu sein. Für den späteren Prozess am Landgericht Darmstadt bedeutete das Dreierlei:
- es gab bereits früher ein Ermittlungsverfahren gegen den Polizeichef Hans Bross und auch da ging es um den Verdacht, dass er einen Versicherungsbetrug verübt hatte.
Dass damals "Bross nicht - wie ihm eigentlich zugesagt - zum ersten Polizeikommissar befördert wurde", sprach dafür, dass die Vorwürfe nicht aus der Luft gegriffen waren.
- Durch entsprechend fragwürdige Praktiken, die wohl nicht nur an das Ohr der Erbacher Geschäftswelt drangen, war Hans Bross erpressbar: "Wenn Du dies und das nicht für mich tust, dann plaudere ich bestimmte Informationen aus."
Nach einem ähnlichen Muster soll er selbst den Bauunternehmer Hans Joachim D. "erpresst" haben.
- Warum sollte ein Mann, der clever und geschäftigstüchtig ist, der sich um wenige 100 Mark vor Gericht streitet, nun auf einmal so "altruistisch" sein und für eine ihm angeblich unbekannte Frau einen Versicherungsbetrug, einen Verwahrungsbruch und eine Urkundenunterdrückung riskieren? Ein Vorgehen, das ihn seine Karriere (kurz vor einer bevorstehenden Beförderung) kosten konnte und kosten sollte.

A7. Die 12. Strafkammer des Landgerichts Darmstadt sprach Hans Erhard Bross am 18. August 1980 des Verwahrungsbruchs in Tateinheit mit Urkundenunterdrückung und Betruges schuldig. Er wurde zu 15 000 DM Geldstrafe verurteilt.
Das Gericht stellte sich hinsichtlich seines Motivs etwas dumm: Man glaubte (fälschlich) den Aussagen von Hans Bross und Brigitte G. (eine leitende Krankenschwester am Kreiskrankenhaus), wonach sie beide sich nicht gekannt hätten.
"Natürlich haben sie sich gekannt", sagte lange nach dem Prozess ein Mann, der selbst mit dem Ehepaar Bruno und Brigitte G. gut bekannt war.
Mindestens war es das klassische Filz/Klüngel-Prinzip, das Anwendung fand: "Mer kenne uns, mer helfe uns" / "Mer kenne uns net, mer helfe uns net".

A8. Es war relativ leicht, den Polizeichef Hans Erhard Bross zu kennen. Bruno Schrep schrieb über ihn: "Die Honoratioren schätzten seinen verbindlichen Umgangston ... und - seine Parties. Denn Hans Bross war kein Kind von Traurigkeit. Und repräsentieren konnte in Erbach kaum einer so gut wie er. Bei wichtigen gesellschaftlichen Anlässen fehlte der Chef der Polizei fast nie."

A9. Hans Erhard Bross war nicht so "altruistisch", dass er der tatsächlich bedauernswerten Witwe aus eigenem Portemonnaie helfen wollte. Erst nachdem deren Schwiegervater ihn persönlich angerufen und (wie auch immer) bedrängt hatte, entschloss sich Hans Bross aus Sicht der Darmstädter Strafkammer zu einem (hochriskanten) Betrug an den betroffenen Versicherungsgemeinschaften.

A10. Nicht nur der Polizeichef Hans Erhard Bross und sein Stellvertreter waren SPD - Mitglieder. Auch sein Verteidiger Dr. Helmut T. aus Reichelsheim war und ist ein bekanntes Mitglied der SPD, er betreibt heute mit dem damaligen Landrat Nothardt (SPD) eine gemeinsame Anwaltskanzlei. Ein Zeuge der damaligen Vorgänge glaubt sich zu erinnern, dass der Jurist seinerzeit sogar Justiziar im Landratsamt gewesen sei. Wie wäre in diesem Fall sein Vorgehen und die Haltung des Landratsamtes zu werten?

A11. Georg Fink brachte sich um, kurz nachdem ihn Dr. Helmut T. als Zeugen "in die Mangel genommen" hatte, d.h. in öffentlicher Verhandlung seine Glaubwürdigkeit und seinen Charakter in Zweifel zog, aus Sicht des Zeugen: In den Schmutz zog. Bruno Schrep schrieb dazu am 16. August 1980: "Diese Vernehmung, die den Beteiligten wohl unvergessen bleiben wird, besiegelte das Schicksal von drei Menschen."
Da der ebenfalls erschütterte Staatsanwalt diese "unvergessliche" Art der Zeugenbefragung gegenüber der Presse mit dem Selbstmord von Georg Fink in Verbindung brachte, legte Dr. Helmut T. sein Mandat nieder. Er wolle damit einer "allgemeinen Verrohung der Sitten entgegentreten", so lautete die erstaunliche Begründung des Verteidigers, der mit Chuzpe sich selbst (!) als "Opfer" verrohter Sitten hinstellte und nicht etwa Georg Fink, der durch systematischen Rufmord bzw. die von ihm, Dr. T, aufgegriffenen "in Umlauf gesetzten Gerüchte" in Verzweiflung und Tod getrieben wurde.

A12. Nach seinem Selbstmord gaben der Staatsanwalt und der Richter Ehrenerklärungen für den Zeugen Georg Fink ab. Alle seine Aussagen hatten sich als wahr erwiesen. Aussagen, auf die "es zur Urteilsfindung gar nicht angekommen wäre", weil "der Angeklagte ... ein Zeuge gegen sich selbst" war. (Darmstädter Echo, 19. 8. 1980)

A13. Die OHZ berichtete am 19. August 1980 mit folgenden Worten über die Urteilsbegründung von Richter Willi Spahn: "Zumindest die Andeutung, ein anderer wolle seinen Posten, habe seinem Stellvertreter Fink schweres, seelisches Leid zugefügt, ebenso die Hetzkampagne unter den Erbachern".
Zu dieser "Hetzkampagne" soll auch gehört haben, Gerüchte und Indiskretionen über die Familie von Georg Fink zu streuen, insbesondere über dessen seelisch angeschlagene Frau Maria und den als sensibel geltenden jüngsten Sohn Harald.

A14. Die "Abschusstheorie" bzw. das angebliche "Komplott", wonach Georg Fink den Posten seines Vorgesetzten angestrebt habe, "nahm das Gericht dem Angeklagten nicht mehr als die Wahrheit ab." (OHZ, 19. 8. 1980)
Der im 60. Lebensjahr stehende Georg Fink sah sich vor der Pensionierung, auch dienstrechtlich sei es nicht möglich gewesen, seinen (10 Jahre jüngeren) Vorgesetzten zu beerben.

A15. Richtig war, dass der als sehr korrekt geltende Beamte Georg Fink sich von seinem "cleveren" und "geschäftstüchtigen" Vorgesetzten nicht in dessen halblegale oder illegale Vorgehensweisen verstricken lassen wollte, schon gar nicht vor seiner eigenen Pensionierung, schon gar nicht, wenn er damit nur für die privat verbockten Affären des Polizeichefs (rechtlich) hätte miteinstehen müssen.

A16. Die Staatsanwaltschaft wollte das ihrer Meinung nach zu geringe Strafmaß durch eine Revision anfechten. Nachdem die Aufmerksamkeit für den Prozess nachgelassen hatte, 3 Monate später, zog die Staatsanwaltschaft die Revision wieder zurück.
Ob die Verteidiger von Hans Bross eine Revision des Urteils erreichten, ist uns nicht bekannt. Die dramatischen Begleitumstände des Prozesses boten sich für die Verteidiger jedenfalls als Revisionsgrund an.
Hans Erhard Bross schied nach einem Disziplinarverfahren aus dem Polizeidienst aus, angeblich hat er später als Ermittler für Versicherungen gearbeitet.

A17. Von der Familie Fink überlebte nur der ältere Sohn Dieter. Traumatisiert durch die Tragödie musste er frühzeitig aus dem Polizeidienst ausscheiden.
Der Rufmord, dem eine ganze Familie zum Opfer fiel, wurde juristisch weder geprüft, noch geahndet.
Die "gemeine, ungerechte Welt" in der Harald Fink, "nicht mehr leben" wollte, war zunächst die Welt im Odenwald.
Ein Landstrich, in dem damals und heute das richtige Parteibuch oder die richtigen Beziehungen entscheiden können, ob befördert wird oder nicht, ob man 5 gerade sein lässt oder bei "unrichtiger Stellung und Haltung" umgekehrt 4 ungerade sein lässt.

A18. Die bekannte Journalistin Liane Probst-Simon nennt auf ihrer Website www.odinprawda.de das "Lästern über Abwesende" die Lieblingsbeschäftigung der Odinwälder / Odenwälder.
Die Familie Fink ist wohl an dieser "Lieblingsbeschäftigung" bzw. einer "Hetzkampagne" zerbrochen. Die drei Menschen, die sich nacheinander das Leben nahmen, müssen sich von allen verlassen gefühlt haben.
Verlassen von einer Justiz, die der Herabwürdigung eines unbescholtenen Zeugen ím Gerichtssaal passiv zuschaute und erst nach dessen Selbstmord deutliche Worte dazu fand, verlassen von örtlichen Institutionen, die einer schon monatelang laufenden "Hetzkampagne" ebenfalls untätig zuschauten, verlassen sicher auch von dem damals dienstvorgesetzten Landrat, der dem Polizeichef und dessen Verteidiger Dr. T., beides prominente Parteigenossen, sicher näher stand als dem unauffälligen Stellvertreter.

A19. Georg Fink, der das Krähenprinzip missachtete, wurde als Zeuge gegen seinen Vorgesetzten zum Nestbeschmutzer eigentümlicher (Rechts-)Verhältnisse, die sich schließlich an ihm rächten. Die OHZ sagte in einem Kommentar zu den damals in Darmstadt angesprochenen Dingen bzw. Verhältnissen, dass sie "ein Spiegelbild dessen sind, was in der Bross -Ära in Erbach vorkam oder ablief, auch im normalen Dienstverlauf." Diese von 1964 bis 1980 währende "Ära" war ihrerseits eingebettet in eine schon damals 30 Jahre währende Ära andauernder SPD-Regierungsgewalt im Odenwald. Die Ära des inkorrekten Polizeichefs und die Ära einer viele Jahrzehnte andauernden Herrschaft ein und der selben Partei musste man wohl schon damals "zusammendenken".


Dass 22 Jahre später die Verhältnisse im Odenwald wenig anders sind, eher noch trüber, lassen verschiedene Dokumentationen und Berichte auf der Website www.justizskandale.de und unter www.odenwald-geschichten.de vermuten.
So gab/gibt es wieder Ermittlungsverfahren gegen den Leiter einer Behörde, wieder ging es u.a. um Urkundenunterdrückung, wieder ging es um "Tausende", wieder steht der schwere Vorwurf des "Rufmordes" an einem Belastungszeugen im Raum (dem angedichtet wird, "nur" hinter etwas her zu sei sein), wieder wird schmutzige Wäsche gewaschen und werden "Indiskretionen" und Gerüchte gestreut. Doch diesmal muss sich auch der dienstvorgesetzte Landrat höchstselbst kritische Fragen gefallen lassen: Landrat Schnur, billigen Sie Rufmord?

In einem Kommentar mit dem Titel "Der Fisch möpselt auch am Schwanz" hatte vor einiger Zeit der Chefredakteur der Odenwälder Heimatzeitung am Ende schüchtern angemerkt, was es bedeutet, sich im Odenwald gegen die regionalen SPD - "Vorleute" zu stellen, egal, ob in irgendwelchen Ämtern oder in der Partei:
"Das sollten sich vor allem die Odenwälder Sozialdemokraten zu Herzen nehmen, die von den Auffassungen ihrer regionalen Vorleute abweichende Meinungen allzu oft schon fast wie Majestätsbeleidigung auffassen. Die SPD übt im Odenwaldkreis seit rund 50 Jahren die Regierungsgewalt aus."
Copyright www.odenwald-geschichten.de Mai 2002

Geldstrafe für Polizeichef

Der Tod von drei Menschen wurde nicht geahndet

Von Bruno Schrep
DARMSTADT. - Ende einer Karriere: Hauptkommissar Hans Bross, suspendierter Polizeichef von Erbach (Odenwald) wurde zu 15 000 Mark Geldstrafe verurteilt. Die 12. Strafkammer des Landgerichts Darmstadt sprach den 49jährigen des Verwahrungsbruchs in Tateinheit mit Urkundenunterdrückung und Betruges schuldig. Der Kommissar hatte - wie ausführlich berichtet - gegenüber Versicherungen verheimlicht, dass ein tödlich verunglückter Autofahrer zum Unfallzeitpunkt betrunken war. Dadurch bekam die Witwe und die beiden kleinen Kinder des Opfers die volle Versicherungssumme ausbezahlt.

    Am Ende des Prozesses spielte der relativ läppische Vorwurf gegenüber dem Kommissar kaum noch eine Rolle. Das Verfahren wurde vielmehr vom Selbstmord einer ganzen Familie überschattet. Zur Erinnerung: Hauptkommissar Georg Fink, Stellvertreter von Polizeichef Bross und Kronzeuge der Anklage, nahm sich das Leben, nachdem er seinen Vorgesetzten schwer belastet hatte. Die 58-jährige Ehefrau und der 24jährige Sohn folgten ihm im Abstand von wenigen Tagen in den Tod.

    Die tragische Kettenreaktion bestimmte fortan das Verfahren. Und der angeklagte Polizeichef wurde - unausgesprochen - mit den drei Selbstmorden in Verbindung gebracht. Denn Bross hatte während des Prozesses die Vermutung geäußert, Stellvertreter Fink habe die Angelegenheit angezettelt, um seine Position zu ergattern. Laut Gericht fügte der Polizeichef mit diesem Verdacht seinem Untergebenen "schweres seelisches Leid" zu. Weil, so die Strafkammer, "die Abschußtheorie jeder Grundlage entbehrt".

  Zwar erklärte der Gerichtsvorsitzende Spahn gestern: "Der Tod von drei Menschen wird in diesem Verfahren nicht geahndet." Verschiedene Passagen machten aber deutlich, daß man seitens der Strafkammer eine zumindest moralische Mitschuld von Bross an der Erbacher Tragödie zu erkennen glaubt. So sprach der Gerichtsvorsitzende von einem Beweisantrag der Verteidigung, "der das Unheil vielleicht ausgelöst hat." Und fügte bedeutungsvoll hinzu: "Wer sich etwas vorzuwerfen hat, muß das mit sich selbst ausmachen!"
    Doch wenn schon von Verantwortung an den tragischen Ereignissen die Rede ist, darf auch die Rolle der Staatsanwaltschaft Darmstadt nicht ausgespart bleiben. So war es von der Ermittlung führenden Behörde ungewöhnlich und ungeschickt, ausgerechnet den Stellvertreter Fink als Helfershelfer bei den Untersuchungen gegen Polizeichef Bross zu Rate zu ziehen. Normalerweise wird eine andere - nicht betroffene Polizeidienststelle mit solchen Recherchen betraut. Wäre dies auch in Erbach geschehen, dann wäre den Spekulationen um die "Abschußtheorie" von Anfang an die Grundlage entzogen gewesen. Doch darüber verlor das Gericht kein Wort.
    Auf Polizeichef Bross, nicht vorbestraft und 27 Jahre im Polizeidienst, wartet jetzt noch ein Disziplinarverfahren. Er machte sich strafbar, um die ihm persönlich nicht bekannten Hinterbliebenen eines Unfallopfers in den Genuß der Versicherungssumme zu bringen. Persönlichen Vorteil hatte er davon nicht. Dies wurde strafmildernd berücksichtigt. Wohl aber ist durch die Straftat des Kommissars "das Vertrauen in die Korrektheit der Polizei ins Zwielicht geraten" (so der Gerichtsvorsitzende).
 
Anmerkungen
B1. Dieser Artikel von Bruno Schrep erschien am 19. August 1980 im Darmstädter Tagblatt bzw. in der OHZ (auf Seite 3.

B2. Im Artikel von Bruno Schrep wurden die tatsächlichen Namen der Beteiligten genannt. In dieser Wiedergabe - 22 Jahre nach den Ereignissen - wurden die tatsächlichen Namen der Hauptbeteiligten (in Bross und Fink) umgeändert

B3. Der weiter oben stehende Bericht von Wilhelm Hellmuth und die dortigen Anmerkungen leuchten den Hintergrund der Geschehnisse deutlicher aus.
Der Polizeichef soll die begünstige Witwe gekannt haben, siehe Anmerkung A7.
Wenn das so war, hatten beide während des Prozesses guten Grund die Bekanntschaft zu leugen.
Aus bloßem Altruismus wird der als "geschäftstüchtig" und "clever" bekannte Polizeichef für die tatsächlich bedauernswerte Witwe sicher nicht seine Karriere riskiert und zerstört haben.
Wahrscheinlicher war, dass man ihn wegen Liebes- und/oder Geschäftsaffären unter Druck setzen konnte. Nicht auszuschließen war auch, dass er an der ausgezahlten Versicherungssumme von ca. 60 000 DM beteiligt wurde. Weder er noch die Hinterbliebenen des Toten würden so etwas vor Gericht zugeben.

B4. Der Stellvertreter Georg Fink war insofern kein Kronzeuge, weil seine Aussagen, so Aussgen des Richter, für die Urteilsfindung gar nicht nötig waren.

B5. "Ungewöhnlich und ungeschickt" soll es gewesen sein, dass Georg Fink als Mitarbeiter bzw. Untergebenem des Polizeichefs die Ermittlungstätigkeit übertragen wurde.
Oft ist die Staatsanwaltschaft nicht allzu erpicht, Kollegen aus dem öffentlichen Dienst bzw. aus der Polizei juristisch zu verfolgen - insbesonder bei geringfügig scheinenden Delikten.
Denkbar ist daher, dass die Staatsanwaltschaft mit Absicht einen Kollegen des Beschuldigten ermitteln ließ - in der Erwartung, dass dessen Ermittlungen vom "Krähenprinzip, also nachlässig geleitet würden.

B6. Der Rufmord, dem dann tatsächlich 3 Menschen zum Opfer fielen, hätte durchaus juristisch geahndet werden können. Verleumdung und üble Nachrede sind Straftatbestände.